Heidis E-Book des Monats – Spezial

Unsere Kollegin Heidi Prax stellt einmal im Monat unter dem Motto “Bücher und mehr” in unserer Bücherei Bücher abseits der Bestseller-Listen vor, die sie selbst gelesen und bewertet hat. Passend dazu gibt es in unserem Blog “Heidis E-Book des Monats”.

Da wir eine kleine Pause hatten gibt es diesmal einen extra langen Blogbeitrag.
Und zwar rumd um das Thema Heimatkrimi aus Niederbayern. Ende letzten Jahrs fanden in unserer schönen Stadt die „Landshuter Literaturtage“ statt bei denen unsere Kollegin Heidi Prax in einer speziellen Ausgabe von „Bücher und mehr“ Heimatkrimis aus Niederbayern vorstellte und außerdem in der Jury für den Schreibwettbewerb war.

Andrea Maria Schenkel:

Tannöd

Biographie: geboren 1962 in Regensburg. Sie wächst in einem Mietshaus in Kumpfmühl auf, die Alten dort haben ihr ihre Geschichten oft erzählt, und diesen Berichten verdankt sie u. anderem die präzise Kenntnis der Zeit und ihrer Menschen, über die sie viel später schreiben wird.

Sie macht die Mittlere Reife, eine Ausbildung bei der Post, heiratet, bekommt drei Kinder, Hausfrau. Als Kind litt sie unter einer Lese-Schreib-Schwäche, erst mit 42 beginnt sie zu schreiben. Eine Lektorin aus dem Nachbardorf hilft ihr bei der Überarbeitung, die Stammkunden der örtlichen Buchhandlung sind ihre Probeleser.

Als sie ihr erstes Manuskript einschickt, nimmt kein Verlag die „schreibende Hausfrau“ ernst, nur der kleine Verlag Nautilus setzt auf „Tannöd“ und veröffentlicht es 2006 mit einer Auflage von 3000 Exemplaren. Und es wird ein fulminanter Überraschungserfolg.

Deutscher Krimipreis 2007, Friedrich-Glauser-Preis 2007, 2008 Schwedischer Krimipreis, monatelang auf Platz 1 der Bestsellerlisten.

„Tannöd“ wurde in 20 Sprachen übersetzt, bis 2009 über 1 Mio. mal verkauft, mit Monica Bleibtreu verfilmt. (Plagiatsvorwürfe des Journalisten Peter Leuschner wurden durch das OLG München zurückgewiesen).

Alle sind hingerissen von dieser Geschichte, die auf einem wahren Verbrechen beruht (in Hinterkaifeck werden in den Zwanzigern alle sechs Bewohner eines Einödhofes brutal erschlagen aufgefunden: Die Großeltern, die Tochter, ihre zwei kleinen Kinder, die Magd.

Das Verbrechen wird niemals aufgeklärt.

Schenkel stieß auf ihr Thema durch einen Artikel in der SZ.

Sie verlegt die Handlung in die frühen Fünfziger, schreibt einige Personen dazu, gibt auch den Opfern eine Stimme – und präsentiert einen Täter.

Protokolle und Aussagen von Polizisten, Nachbarn, Zeugen, Gerüchten und Spekulationen  verbinden sich zu einer raffinierten Milieustudie der ländlichen Nachkriegszeit – keine Idylle, sondern voller Bigotterie, Heuchelei, Gewalt, Inzest. Und jeder hat seine eigene Version des Geschehens.

Die bedrückende Enge der Provinz, die Armut, das harte, karge Leben, die Dumpfheit, die Härte gegen sich und andere, mit wenigen Worten erzeugt sie Beklommenheit ob dieser dunklen, abgründigen Szenerie.

Der Leser wird Zeuge des Verbrechens, begleitet jeden Schritt des Täters, ohne dessen Identität zu kennen.

Täuscher

Auch in ihrem Buch „Täuscher“ (2013) greift sie einen realen Doppelmord, der 1922 in Landshut passierte, auf und beschreibt ihn mit ähnlichen Methoden wie in Tannöd.

Clara Ganslmeier, die mit ihrer kranken Mutter in der Neustadt wohnt, will ein Zimmer an Bertha Beer, einer geschiedenen Platzanweiserin in den neuen Lichtspielen vermieten.

Als diese jedoch zum vereinbarten Termin mit ihrer Schwester kommt, öffnet niemand, auch am nächsten Tag nicht. Besorgt gehen sie zur Polizei, die in der Wohnung die beiden toten Frauen findet – eine erwürgt, eine erstochen, der kostbare Schmuck von Clara verschwunden, auf dem Tisch im Salon benutztes Teegeschirr.

In Rückblenden, zeitlich versetzt, wird die Geschichte entrollt.

Hauptverdächtiger ist Claras „Verlobter“ Hubert Täuscher, Sohn eines Bürstenfabrikanten, ein Tunichtgut, der bereits einmal wegen Unterschlagung in der Firma seines Vaters auf Bewährung verurteilt wurde. Ein Striezzi, ein Weiberer, doch nach dem Krieg sind die Männer rar, und Clara will keine alte Jungfer werden, obwohl sie Zweifel an seiner Treue hat. Da gibt es noch die junge Thea in München, arm aber hübsch, und sie ist doch einige Jährchen älter als Hubert. Und eigentlich will er sowieso Schauspieler in Berlin werden.

Hatte Hubert einen Komplizen, den zwielichtigen Arbeitslosen Luck Schinder?

In der Wohnung seiner Geliebten in München werden einige der gestohlenen Schmuckstücke gefunden. Hubert hatte wohl Luck von dem Schmuck erzählt, beide sind immer in Geldnöten und Luck hat da Verbindungen.

Beide schmieden einen schrecklichen Plan, der jedoch gründlich schief geht.

Obwohl Täuscher vehement seine Unschuld beteuert, sagt er in der Verhandlung kein Wort über Lucks wahren Anteil an der Tat – und so wird er zum Tode verurteil, auch drei Gnadengesuche seines Anwaltes werden abgelehnt. Und auch als er nach dem Urteil endlich seinem Anwalt die Wahrheit sagt, glaubt ihm keiner.

Luck wird nur wegen Hehlerei zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, und er weiss wohl auch, wo der Rest des wertvollen Schmuckes versteckt ist.

Gutachter, die Eltern von Hubert werden befragt, Thea, auch die schwangere Geliebte von Schinder, Zeitungsartikel werden zitiert, und so zieht sich die Schlinge zu.

Es ist eine schwierige Zeit 1922, der Krieg liegt noch nicht lange zurück, die Reparationsleistungen sind erdrückend hoch, die Inflation steigt von Tag zu Tag, das Leben ist nicht einfach, doch man ist froh, dass man überlebt hat.

Es muss doch wieder aufwärts gehen!

 

Friederike Schmoe: Bisduvergisst

Kea Laverde, Ghoswriterin aus München, erhält 2009, im Sommer der Landshuter Hochzeit, einen Anruf aus Landshut.

Irma Schwand, 82 Jahre alt, hat eben die Diagnose Alzheimer erhalten. Nun möchte sie ihre Lebensgeschichte aufschreiben lassen, für ihre geliebte 20jährige Enkelin Julika, bevor sie alles vergisst.

Kea sagt zu und fährt nach Landshut, die Stadt putzt sich gerade für das Fest heraus – und Kea isst erst einmal Kasnudeln im Hofreiter.

Abwechselnd werden nun Irmas Geschichte Stück für Stück erzählt und die aktuellen dramatischen Ereignisse geschildert.

Irma ist 1927 geboren, mit ihrer besten Freundin Lisa ist sie beim Reichsarbeitsdienst außerhalb von Landshut dienstverpflichtet, im Frühjahr 45 steht das Kriegsende bevor, alles ist in Auflösung begriffen. So viele ihrer Freunde, junge Männer, sind tot, vermisst, verwundet. Und während Lisa fest an den Führer, die Wunderwaffe und den Endsieg glaubt, übt Lisa ihr Englisch – sie will einen der amerikanischen Soldaten heiraten, die bald kommen werden, und mit ihm nach Amerika gehen, weg aus diesem zerstörten Land.

Während einer ihrer Sitzungen mit Kea erhält Irma eine schreckliche Nachricht: ihre geliebte Enkelin Julika ist tot aufgefunden worden, in ihrem Kostüm als Spielfrau, oben auf der Burg, in ihrem Lederbeutel eine CD mit merkwürdigen verschlüsselten Daten – ermordet.

Und Kea beginnt, Nachforschungen anzustellen, während sie weiter Irmas Geschichte aufschreibt.

Irma hat ihren Amerikaner geheiratet und ist mit ihm nach Amerika gegangen, hat eine Tochter bekommen. Als ihr Mann früh starb, ist sie nach Landshut zurückgekehrt, hat sich sehr bei den Förderern engagiert und sich gefreut, als auch ihre Enkelin kam, um Zeit mit ihrer Großmutter zu verbringen.

Doch Kea spürt, dass etwas aus jener Vergangenheit schwer auf Irma lastet, sie fühlt sich schuldig.

Die Ermittlungen wegen Julikas Ermordung laufen auf Hochtouren, aus München kommt Nero, Keas Freund und Ermittler für Internetkriminalität beim LKA – ist jene CD der Grund für Julikas Tod?

Im April 45 sollen Irma und Lisa einen Koffer mit wichtigen Dokumenten nach München bringen, die Post funktioniert nicht mehr. Sie brauche zwei Tage nach München, doch dort will keiner mehr ihre wichtigen Dokumente. Die Mädchen geraten in einen Bombenangriff, halb taub, geschockt, verwundet machen sie sich auf den langen Heimweg.

(Eindringliche Schilderungen der zerstörten Stadt, des Chaos, der Flüchtlingen und Ausgebombten, der Toten auf den Straßen). Auch Züge verkehren kaum noch.

Als sie endlich das Lager des RAD bei Landshut erreichen, ist alles verlassen – keiner mehr da. Nachts schlagen sie sich durch Wald und Feld zurück in die Stadt. Es ist gefährlich in jenen Tagen, überzeugte Nazis jagen Deserteure und Gegner, Hungernde gehen auf die Jagd nach Kaninchen, an manchem Baum hängt einer. Es müssen noch viele sterben in diesen letzten Kriegstagen, Tiefflieger machen Jagd auf Menschen.

Und nur Irma kehrt zurück nach Landshut, fiebernd, verwirrt, verletzt – und glaubt jahrzehntelang, schuld am Tod ihrer Freundin zu sein. Doch was ist damals wirklich geschehen in jener Nacht, als auch ein hochrangiger Nazi im Wald unterwegs war – der heute als  unbescholtener, honoriger Bürger in Landshut lebt?

Bei ihren Nachforschungen gerät auch Kea in Gefahr. Schließlich wird auch das Rätsel um jene CD gelöst, es gibt ein dramatisches Finale. Doch nicht wegen der Daten musste Julika sterben, sondern weil sie der Wahrheit zu nahe kam, wer wirklich für Lisas Tod verantwortlich war

 

Regina Ramstetter: Apostelwasser

Das stadtbekannte Original Barbara Dorsch (Sängerin, Musikerin, Exzentrikerin) führt morgens um halb fünf in Nachthemd, Strickjacke und Clogs, den Hund ihrer verreisten Nachbarin Gassi, nur ein paar Schritte die Ilz in Passau entlang – und macht dort einen grausigen Fund: Drei Gekreuzigte liegen auf dem Boden.

Für Kom. Kroner und seine Mitarbeiter beginnt eine ihrer schwierigsten Ermittlungen. Ganz Passau steht Kopf, der Medienrummel ist enorm. Ist es das Werk eines Irren? Oder vielleicht die Tat radikaler Islamisten, die mit den Flüchtlingsströmen in die Domstadt kamen?

Wer sind die Toten, und wie konnten sie überhaupt dorthin gelangen? Eines der Opfer hat knapp überlebt, liegt jedoch im Koma. Der Fundort, das Apostelwasser, ist ein Flussabschnitt, der nur an Berufsfischer verpachtet wird. Wie konnten die Toten dorthin gelangen?  Mit Suchhunden, auch aus Österreich, werden Flussufer nach Spuren untersucht.

Bei der Obduktion stellt sich heraus: die Opfer hatten jeweils eine Seite des „Gotteslobes“ verschluckt und waren sediert, bevor sie gekreuzigt und mit einem Nagel durchs Herz getötet wurden. „Heilige Maria Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes“

Aus München kommt Unterstützung: Profiler, Psychologen, Beamte des LKA.

Nach langwierigen Ermittlungen sind die Opfer identifiziert:

  1. Gustav Kleingürtl, Pfarrer einer kleinen Gemeinde bei Regensburg, der 2006 von all seinen priesterlichen Aufgaben und Pflichten entbunden wurde – warum?
  2. Peter Hirtenfeld, ehemaliger Generalvikar der Diözese Regensburg
  3. Andreas Geiger, der immer noch im Koma liegt, war bis vor kurzem als Anwalt für das Bistum Regensburg tätig.

Die Ermittlungsarbeit, das mühsame Zusammentragen von Mosaiksteinchen, wird sehr ausführlich, kenntnisreich und detailliert geschildert.

Auch die privaten Probleme der Ermittler werden humorvoll erzählt:

Kom. Kroners  italienische Frau Giulia, mit der er vier Söhne hat, ist vor 15 Jahren an Krebs gestorben. Seine jetzige Partnerin Joja hat eine 28jährige Tochter, Valli, die in München Psychologie studiert. Nach einem One-Night-Stand vor vielen Jahren könnte sie ev. seine Tochter sein. Ben, sein junger talentierter Mitarbeiter, ist seit knapp einem Jahr mit Valli zusammen, hat jedoch beim Trennungs-Sex mit seiner Ex Luisa ein Kind Kind gezeugt, von dem er nichts wusste, bis Luisa trotz Trennung energisch Hilfe bei der Betreuung fordert, damit sie arbeiten kann. Wie soll er das Valli beibringen? Und am Ende der Ermittlungen ist auch Valli schwanger.

Nach vielen Sackgassen in den Ermittlungen wird eines deutlich: Es geht um Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen. Alle Opfer sind auf die eine oder andere Weise darin involviert, und es tun sich Abgründe von Leugnen, Vertuschung, Verschleppung, Verschweigen auf.

Der Staatsanwalt unterstützt den Bischof von Passau, nichts soll an die Öffentlichkeit dringen, mit allen Beteiligten soll äußerst schonend umgegangen werden.

Und nun nimmt die Geschichte rasant Fahrt auf: Kleingürtl ist mehrmals wegen Missbrauchsvorwürfen stillschweigend in eine neue Pfarrei versetzt worden, intern wusste man Bescheid, nichts wurde bekannt. Hirtenfeld, der Generalvikar schrieb den Opfern nach jahrlanger Verschleppung einen Serienbrief, in dem er jeden Vorwurf, jede Entschädigungsforderung kategorisch abwies. Und Geiger vertrat das Bistum als Anwalt.

Viele Kinder und Eltern hatten geschwiegen, aus Scham und Angst; die wenigen, die es öffentlich anklagten, wurden verleumdet, eingeschüchtert. Kinderseelen, Familien wurden zerstört, und den Tätern geschah nichts.

In kurzen, wenigen Einschüben wird das Martyrium eines Kindes angedeutet, das in den Sechzigern zu den Domspatzen kam – die Freude seiner Mutter und die Qualen, die er erdulden musste.

Der Bruder des Papstes war dreißig Jahre Domkapellmeister und wusste nichts?

Die Kritik von Ramstetter an dem Verhalten der katholischen Kirche wird im Verlauf der Geschichte immer deutlicher: Sie zählt alle deutschen Bistümer auf, in denen Missbrauchsvorwürfe öffentlich wurden und sie klagt die Vertuschung und Verleugnung sehr deutlich an. (Hildesheim, Aachen, Paderborn, Mainz, Augsburg, Rottenburg, Essen, München, Speyer, Münster, Limburg, Fulda, Canisius Kolleg Berlin, Kloster Ettal, die Regensburger Domspatzen).

Und in einem furiosen Finale, in dem auch Kroner in Lebensgefahr gerät, wird der Fall aufgelöst. Eigentlich gibt es keine Schuldigen, nur Opfer.

Und auch die privaten Verwicklungen werden zur allseitigen Zufriedenheit gelöst, niederbayrische Dialektausdrücke in einem Glossar erklärt.

Regina Ramstetter: geb. 1972 in Niederbayern, schrieb schon während der Schulzeit Geschichten und Gedichte; Aupair in England, BWL-Studium, Redakteurin der Mitarbeiterzeitschrift eines grossen Konzerns, lebt und schreibt in Niederbayern.

 

Wolf Schreiner: Lammfromm

Balthasar Senner ist als katholischer Priester in einer kleinen Gemeinde im Bayr. Wald zuhause – ein genussfreudiger Mensch, tolerant und liberal, mit einer Vorliebe für ganz besondere Weihrauchmischungen. Sein bester Freund ist Atheist und seine polnische Haushälterin Teresa eine ganz schreckliche Köchin, weshalb er so oft es geht, ins Wirtshaus zum Essen geht und dort auch alles erfährt, was im Dorf so vor sich geht.

Neben der himmlischen Gerechtigkeit legt er auch großen Wert auf die irdische, obwohl er damit immer wieder Probleme mit seinem Bischof in Passau bekommt.

Eigentlich möchte er diesmal nur ein paar freie Tage daheim im Wald genießen, neue Weihrauchsorten ausprobieren. Doch die Auszeit, die himmlische Ruhe währt nicht lange.

Als bekannt wird, dass in seiner kleinen Gemeinde eine Umgehungsstraße gebaut werden soll, hängt der Haussegen gewaltig schief, Streitereien, Konflikte, unterschiedliche Interessen.

Plötzlich muss er nicht nur unter den zerstrittenen Einwohnern schlichten, sondern sich auch noch mit einer Gruppe protestierender Naturschützern herumschlagen, die sich in seiner Kirche einnisten und auf Kirchenasyl bestehen. Bischof Siebenhaar in Passau ist schockiert!

Und dann wird der Führer der Aktivisten ermordet, und Balthasar macht sich auf die Suche nach dem Mörder.

Wer hat das tote Schwein im Dorf aufgehängt?

Sollte das Opfer mit Geld ruhig gestellt werden? Warum hatte er u. a. ein Verhältnis mit der Tochter des Bauunternehmers? Oder hatte sich eine betrogene Geliebte gerächt?

Es geht um Naturschutz contra wirtschaftliche Interessen, die Zuschüsse von Bund und EU sind beträchtlich. Es geht um Intrigen, Korruption, und natürlich um Geld.

Balthasar Senner ist ein liebenswerter bayrischer „Pater Brown“, der hier bereit in seinem sechsten Fall ermittelt.

Wolfgang Schreiner: geboren 1958 in Nürnberg, aufgewachsen in der Nähe von Altötting, Journalist und Autor, lebt in München.

 

Wolfram Fleischhauer: Und schweigend steht der Wald

Anja Grimm, 28 Jahre und Studentin der Forstwirtschaft, muss all ihren Mut zusammennehmen: für ein Praktikum, ein Bodenkartierungsprojekt muss sie ausgerechnet in jene entlegene Gegend des Bayrischen Waldes zurückkehren, wo sie als kleines Mädchen mit ihren Eltern Urlaub auf einem Bauernhof machte – und wo ihr Vater Johannes vor zwanzig Jahren spurlos verschwand.

Schon bei den ersten Bohrungen stößt sie auf Ungereimtheiten: warum ist plötzlich mitten in dem unbewirtschafteten Wald der Leybachs eine Wiese, die auf ihrer Karte nicht eingezeichnet ist?  Und warum schleicht hier Xaver mit einem Gewehr herum, der zurückgebliebene Sohn der Leybachs, den sie als einstigen Spielgefährten wieder erkennt?

Als sie das nächste Mal zurückkehrt, um weitere Bodenproben zu nehmen, findet sie Xaver erhängt an einem Baum.

Xaver, dem Sohn von Anna und Alois, gehört der Wald. Sein Vater hat vor Jahren die Familie verlassen, ist unauffindbar, und Anna ist schwer krank, wird von Xaver notdürftig versorgt.

Die verwandte Familie Gollas möchte den Wald bewirtschaften, einen Baumwipfelpfad einrichten, Touristen anziehen. Ihnen steht finanziell das Wasser bis zum Hals. Und nun ist der Besitzer tot, und einen Tag später wird Anna erschlagen im Stall gefunden.

War Xaver, der Muttermörder, auch der Mörder von Johannes Grimm? Und wenn ja, warum? Ist Anjas Vater auf jener Wiese vergraben?

Für Anja ist alles wieder gegenwärtig, das spurlose Verschwinden des Vaters, der nicht mehr von einer Wanderung zurückkehrte; die lange ergebnislose Suche, die Mutmaßungen, die Verdächtigungen, der Schmerz, als sie und ihre Mutter alleine nach München zurückkehren musste.

Anja teilt ihren Verdacht dem Kommissar Konrad Dallmann mit; dessen Vater Gustav, ebenfalls Polizist, hatte damals den Fall untersucht. Dallmann reagiert merkwürdig reserviert, Misstrauen und Feindseligkeit werden ihr von den Einheimischen entgegengebracht. Man solle die alten Geschichten ruhen lassen, es sei damals schlimm genug gewesen.

Nur Lukas, einer der beiden Söhne Gollas, der in Regensburg studiert, nett und attraktiv, sucht den Kontakt mit Anja.

Doch Anja gibt nicht auf, sie studiert alte Akten im Forstamt und stellt fest, dass die Wiese kurz nach dem Verschwinden ihres Vaters angelegt wurde, auf Wunsch des Jagdpächters Hainbichlers, ein alter Freund der Familien Leybach und Gollas. Und sie verlangt bei der Polizei Akteneinsicht, frägt nach, warum damals so schlampig ermittelt wurde.

Anja kann den Wald lesen, weiß, warum bestimmte Pflanzen gerade hier wachsen, wie der Boden unter den sogenannten Zeigepflanzen beschaffen ist. Auf dieser Wiese ist gegraben worden, und schweres Gerät ist bewegt worden. Sie erkennt das an Pflanzen, die nur auf schwerem Boden wachsen.

Plötzlich zieht sie der Leiter des Forstamts von den Kartierungsarbeiten ab, sie soll im Büro Daten einpflegen, nicht mehr in diesen Wald gehen.

Es lässt ihr keine Ruhe, und im verlassenen Haus der Leybachs findet sie etwas Schockierendes, das auf lang zurückliegende Geschehnisse hinweist.

Und wir erfahren, dass Dallmann und Hainbichler ein schreckliches Geheimnis teilen und alles dafür tun würden, damit es nicht entdeckt wird.

Bald überschlagen sich die Ereignisse. Anjas Fund führt sie nach Flossenbürg, das ehemalige KZ, nur wenig Kilometer entfernt. Und dort erzählt ihr der junge Leiter der Gedenkstätte, was hier im Krieg und bei Kriegsende geschehen ist.

Es kommt zu einem dramatischen Finale, bevor sich alles aufklärt, und auch Anja endlich ihren Frieden mit der Vergangenheit machen kann.

Geschichte Flossenbürg:

In dem kleinen Dorf im Oberpfälzer Wald wurde seit Ende des 19. Jahr. in zahlreichen Steinbrüchen Granit abgebaut; die Burgruine war ein beliebtes Ausflugsziel. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden Granit und Burg zu zentralen Standortfaktoren. Durch die staatlichen Bauprogramme steigt die Nachfrage nach Granit enorm. 1938 wird das Konzentrationslager eingerichtet, die Häftlinge sollen den Granit abbauen. Nach Kriegsbeginn kommen zahlreiche Häftlinge und Zwangsarbeiter aus allen besetzten Ländern. Es herrschten unmenschliche Arbeitsbedingungen, Tausende starben.

Und natürlich profitierten viele vom KZ, es war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Region. Viele aus der Umgebung fanden Arbeit als Zivilbeschäftigte oder in den Wachmannschaften, Firmen erhielten lukrative Aufträge und gegen geringes Entgelt konnte man sich Häftlinge zur Arbeit mieten / ausleihen.

Messerschmidt verlagerte Teile seiner Fertigung aus Regensburg nach Flossenbürg, 5000 Häftlinge waren dort beschäftigt.

Als die KZs außerhalb Deutschlands aufgelöst wurden, gegen Ende des Krieges, trafen riesige Gefangenentransporte ein, es kam zu zahlreichen Massenerschießungen. Anfang April 45 beginnt die Auflösung, Tausende sterben noch auf den Todesmärschen, bevor die US-Army das Lager erreicht. Und in zahllosen Ortschaften bleiben Tote am Wegesrand zurück.

SS-Angehörige tauchen unter, besorgen sich falsche Papiere – und das große Schweigen beginnt.

Heute stehen auf dem Areal des einstigen Vernichtungslagers Einfamilienhäuser mit Blick auf den ehemaligen Appellplatz

Wolfgang Fleischhauer: geboren 1961 in Karlsruhe, Studium Germanistik, lange Auslandsaufenthalte, Autor und Dolmetscher.

In einem Intervierw sagte er u. a. habe ihn ein Artikel über Waldarchäologie und die Beschäftigung mit der Geschichte des KZ Flossenbürg inspiriert.

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